Biss zum letzten Schluck

Blut rann meine Mundwinkel hinab. Ich genoss es wie einen drei-fachen Orgasmus. Meine Pupillen wurden Stecknadel klein, dann gross wie zehn Cent Stücke und meine Ohren waren erfüllt vom Rauschen des Blutes, während mein aktuelles Opfer, irgendeine Brünette, die ich vorhin in einer Bar kennen gelernt hatte, unter mir zuckte und um ihr erbärmliches Leben jammerte und schrie.
Ihre Schreie schickten ekstatische Wellen über meine Ohren durch meinen ganzen Körper, als stünde ich unter Strom.
Jeder Schluck, jedes Saugen schickte Blitze von Energie durch meine Muskeln. Es fühlte sich an, als würden sie bis zum zerbersten anschwillen und jeder weitere Schluck ließ mich um Dekaden jünger werden.
Ich fühlte mich grossartig, betäubt, wahnsinnig kraftvoll, wie der Herrscher der Welt und berauscht zugleich.
Ein Gefühl, das nur der Genuss der Essenz des Lebens zu offenbaren mag!
Ein weiterer Schluck ihres Blutes rann warm meine Kehle hinab.
Doch dennoch war da dieser Splitter in meinem Kopf.
Immer noch.

Ich hatte ihn gespürt, solange ich denken konnte. Meine Mutter hatte ihn als „alltägliches Übel, das irgendwann verschwinden würde“ bezeichnet, mein Vater hingegen war rasend vor Wut geworden, als ich ihm im betrunkenen Zustand einmal darauf angesprochen hatte.
Seinen Schlag in mein Gesicht hatte ich vergessen.
Der Splitter hingegen war nie verschwunden. Er hatte mal mehr und mal weniger gepocht und eine vermeintlich lange Zeit lang schien er gänzlich verschwunden zu sein, doch seit ein paar Tagen war er wieder da, als wär er nie wirklich weg gewesen, und schwoll mit jedem Schluck.
Bis auf die Größe eines rostigen Sargnagels, der sich kontinuierlich in meinen Verstand bohrte.
Die brünette Frau unter mir bäumte sich zu einem letzten Zucken, zu einem letzten Atemzug auf – ich hatte solch Situationen so oft erlebt,
dass sie mich eigentlich hätten kalt lassen sollen- , sie schrie so schrill, dass der Schrei noch Minuten brauchte, um in meinen Ohren ab zu klingen.
Ein Moment, der jeden anderen Vampir in totale Ekstase versetzen würde, doch ich fühlte mich innerlich tot, leer und erbärmlich.
Ich fragte mich, was zum Teufel mit mir nicht stimmte.
Wieso empfand ich so etwas wie Mitleid mit diesen zerbrechlichen Kreaturen, die unser Hauptnahrungsmittel darstellten?
Ich bettete ihren Kopf auf vertrocknete Blätter und bedeckte ihren leblosen Körper mit Zweigen.
„Es tut mir leid“, entfuhr es mir.
Eine Aussage, die mich mehr verwirrt, als befriedigt zurück ließ.
Das Hämmern ihres Pulses noch immer im Kopf und in den Lippen spürend, verließ ich den Tatort, wischte mir beiläufig das Blut von den Lippen und mischte mich wenige Minuten später wieder unter die sorglos feiernden Menschen.
Auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit. Schließlich war ich ein Vampir und was würden die anderen von mir denken, wenn ich plötzlich…
Der Gedanke jagte mir eine Gänsehaut über den Nacken. Nur eine Sekunde lang. Ich setzte ein Lächeln auf. Charmant. Siegessicher. Und schob jeglichen Zweifel in den gußeisernen Sarg, den manche Gewissen
nennen.
„So etwas kennt ein Vampir nicht“, versicherte mir eine vertraute,
innere Stimme. Ich lächelte erneut. Diesmal vor Gier.
Zum Glück hatte der Sarg des Gewissens einen nahezu Luft undurchlässigen Deckel.
„Hey, haben wir uns nicht schon einmal gesehen?“
Eine Blondine, deren Adern vor Erregung das Blut nur so durch sie hindurch katapultierten, kam auf mich zu getanzt. Meine rebellische Art lockte sie immer wieder an.
Wie Nachtfalter eine Glühbirne.
Ich legte den Arm um sie: „Ich glaub nicht, aber du siehst zum anbeissen aus!“
Und der Splitter in meinem Kopf pulsierte wie das Herz eines
abtrünnigen Verräters.

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