Archiv der Kategorie: Kurzgeschichten

Widerstand

Völlig außer Atem schmeiße ich mich hinter die nächste Hausecke und versuche so gut es geht mit den Schatten zu verschmelzen.
„ID 46577GX13 muss hier irgendwo sein! Wir haben sein Signal auf dem Screen. Sucht ihn!“ brüllt eine blecherne, autoritäre Stimme nicht weit entfernt.
Verdammt ich habe vergessen den Kälteschild meines Mantels einzuschalten! Mit ungeschickten Fingern taste ich nach dem Druckknopf am Unterarm. Gerade noch rechtzeitig kühlen die Pads die unmittelbare Umgebung meines Körpers auf 10 Grad ab, die Kapuze verdeckt fast meinen gesamten Kopf.

Ich versuche mich krampfhaft zu beruhigen, den Atem zu verlangsamen.

Kaum hörbar surrt die INFECT Drohne heran, bleibt an der Hausecke stehen, scannt routiniert die Umgebung („Sie wird mich bemerken. Das kann nicht klappen.“) und fliegt an mir vorbei. Ihre Wärmebildkamera und akkustischen Sensoren tasten weiter im Dunkeln umher. Den Stimmen und Schritten nach zu urteilen wird sie von etwa 10 Polizisten begleitet.

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Doppelter Unfall

„Du hast sie gesehen?“ fragt er ungläubig und wirft Dir einen Blick zu, als wärst Du nicht ganz richtig im Kopf. Deine Hände umklammern krampfhaft das Bierglas und zittern so stark, das einiges von dem Bier auf den hellen Holztisch schwappt.
„Erzähl weiter.“
Flehender Blick. Du bist den Tränen nahe.
„Dad, ich…“
Doch er lässt nicht locker.
„Deswegen bist du doch hergekommen. Also erzähl mir wann und wo.“
Du siehst zweifelnd zur Seite auf die Kommode. Der Fernseher flimmert tonlos irgendeine Abendsendung in den Raum, fängt Deinen Blick (Heile Welt.), bis Du Dich schließlich dazu zwingst ihm wieder ins Gesicht zu schauen. Er sieht mürrisch aus, nickt ruhig, kratzt sich durch den grauen Vollbart und mustert Dich eindringlich, während er seinen stämmigen Körper im Ledersessel zurück lehnt. Du trinkst noch einen großen Schluck Bier.
„Letzte Nacht. Ich… Ich bin irgendwann aufgewacht und hatte Durst. Ich bin die Treppe runter, durch den Flur und…“, eine erste Träne kullert Dir über die Wange, „Da saß sie im Dunkeln in der Küche. Am Küchentisch.“
Dein Vater lässt ein ungläubiges Brummen oder Knurren hören und Du fragst Dich für eine Sekunde, wie zum Henker Du auf die blöde Idee gekommen bist Dich ausgerechnet ihm anzuvertrauen. Er wird Dir doch wahrscheinlich eh nicht glauben. Trotzdem erzählst Du weiter, weil Du es jemandem erzählen musst, wenn Du nicht völlig durchdrehen willst.
„Sie saß am Küchentisch. Die Laterne vor dem Fenster… Die Jalousien waren nicht runter gelassen. Es war gerade hell genug, dass ich sie sehen konnte. Sie hatte irgendwas in den Händen und spielte damit rum. Was konnte ich nicht genau erkennen.“
(Es war ein Stein. Ein blauer Stein.)
„Und als ich in der Tür von der Küche stand da… Da…“
Nun kannst Du die Tränen doch nicht mehr zurück halten, schaust rasch auf den Boden, schluckst.
„Sie hat mich angesehen, Dad. Sie saß da und hat mich angesehen. Sie… hat gelächelt. Ihr süßes Lächeln. So wie früher. Als wäre nichts geschehen.“

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Wer stand denn da am Waldesrand?

Seufzend blättert sie die Seite ihres Buches um.
Eine weiße Seite mit keinerlei Inhalt.
Eine Seite, die ihr so leer erscheint wie der Rest ihres Lebens.
So leer und … sinnlos.
Wieder seufzend schmeißt sie das Buch achtlos hinter sich auf die Rückbank und schaltet in derselben Bewegung das Licht aus. Ein kalter Wind weht durch die herunter gelassenen Scheiben des Wagens und sie schließt wie aus Reflex die Fenster. Nur ein Knopfdruck (Sirrrrr) und schon fährt das harte Glas langsam nach oben und schneidet ihre Welt sauber von der Außenwelt ab. Sie könnte jetzt schreien, schreien so laut sie wollte und man würde sie kaum in dieser anderen Welt wahrnehmen, geschweige denn…
Ihr Kopf schreckt kurz hoch! Hat sich da draußen etwas bewegt?
Irgendein Vogel fliegt mit lauten Gezeter (ohne dass sie einen Laut davon hört) vorüber. Sie lacht. Wie dumm von ihr. „Es geht dir gut.“, summt die Klimaanlage und bläst automatisch lauwarme Luft ins Wageninnere.
(Alles in Ordnung.)
„Sowas blödes… Ich bekomme eine Gänsehaut und das wegen eines dummen Raben. Hab wohl zu viel Alfred Hitchcock gelesen in letzter Zeit.“
In ihren Gedanken rauscht kurz ein Fernseher in schwarz-weißem Schnee, ohne dass sie es wirklich wahrnimmt, bevor sich das Bild allmählich scharf stellt. In diesen Gedanken legt ihr Mann sanft seine Hand um ihr Haar, streichelt es… So wie er es früher andauernd getan hatte.
Liebkost sie und flüstert „Ich liebe dich, Darling!“. Alles scheint wunderschön. Ein gehauchtes Gefühl, das sanft in ihren Ohren kitzelt.
Sie packt sich mit der rechten Hand kurz an ein Ohrläppchen. Nur so eine dumme Angewohnheit vor ihr. Die Umgebung wird wärmer… und freundlicher. Es sind zwar nur Gedanken, doch sie fühlt sich sichtlich wohler. Ihre Finger greifen nun nach dem runden, geriffelten Lautsprecherknopf des Radios.
Soll ich es anschalten?
(Warum denn nicht?)
Eine Weile Zeit schleicht vorüber.
(Los mach schon.)
Wie Nebel auf eines Farmers Feld.
Dann weichen ihre Finger zurück.
Die Kamera reißt sich mit kurzem Ruckeln von der Szenerie, schwenkt durch die Außenscheibe neben ihrem Kopf. Ein Wagen, Farbe unbekannt. Dunkel. Tageszeit Nacht. Umgebung? Sie dreht sich langsaaaam im Kreis.
Nichts als tiefschwarze Nacht. In der Ferne ein Waldesrand mit einer Holzhütte. Die gezackten Umrisse des Waldes heben sich vom Horizont ab.
Schwarz auf dunkelstem Blau.
Wie der Nacken eines schlafenden Drachens.

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