„Du hast sie gesehen?“ fragt er ungläubig und wirft Dir einen Blick zu, als wärst Du nicht ganz richtig im Kopf. Deine Hände umklammern krampfhaft das Bierglas und zittern so stark, das einiges von dem Bier auf den hellen Holztisch schwappt.
„Erzähl weiter.“
Flehender Blick. Du bist den Tränen nahe.
„Dad, ich…“
Doch er lässt nicht locker.
„Deswegen bist du doch hergekommen. Also erzähl mir wann und wo.“
Du siehst zweifelnd zur Seite auf die Kommode. Der Fernseher flimmert tonlos irgendeine Abendsendung in den Raum, fängt Deinen Blick (Heile Welt.), bis Du Dich schließlich dazu zwingst ihm wieder ins Gesicht zu schauen. Er sieht mürrisch aus, nickt ruhig, kratzt sich durch den grauen Vollbart und mustert Dich eindringlich, während er seinen stämmigen Körper im Ledersessel zurück lehnt. Du trinkst noch einen großen Schluck Bier.
„Letzte Nacht. Ich… Ich bin irgendwann aufgewacht und hatte Durst. Ich bin die Treppe runter, durch den Flur und…“, eine erste Träne kullert Dir über die Wange, „Da saß sie im Dunkeln in der Küche. Am Küchentisch.“
Dein Vater lässt ein ungläubiges Brummen oder Knurren hören und Du fragst Dich für eine Sekunde, wie zum Henker Du auf die blöde Idee gekommen bist Dich ausgerechnet ihm anzuvertrauen. Er wird Dir doch wahrscheinlich eh nicht glauben. Trotzdem erzählst Du weiter, weil Du es jemandem erzählen musst, wenn Du nicht völlig durchdrehen willst.
„Sie saß am Küchentisch. Die Laterne vor dem Fenster… Die Jalousien waren nicht runter gelassen. Es war gerade hell genug, dass ich sie sehen konnte. Sie hatte irgendwas in den Händen und spielte damit rum. Was konnte ich nicht genau erkennen.“
(Es war ein Stein. Ein blauer Stein.)
„Und als ich in der Tür von der Küche stand da… Da…“
Nun kannst Du die Tränen doch nicht mehr zurück halten, schaust rasch auf den Boden, schluckst.
„Sie hat mich angesehen, Dad. Sie saß da und hat mich angesehen. Sie… hat gelächelt. Ihr süßes Lächeln. So wie früher. Als wäre nichts geschehen.“
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